Vorne von links: Jutta Hecken-Defeld (ver.di + Vorsitzende SPD Wenden), Bundestagsabgeordnete Nezahat Baradari, Anke Köster und Anne Redeker (Beratungsstelle Arbeit)
Hinten von links: Michael Schnippering (ver.di), Daniel Schulte (KSD) und Helena Fleischer (IN VIA)
Gemeinsamer Besuch mit unserer Bundestagsabgeordneten Nezahat Baradari bei der „Beratungsstelle Arbeit“ in Finnentrop. Da das erweiterte Angebot im Trägerverbund von IN VIA und dem KSD im Kreis Olpe auch arbeitsrechtliche Themen betrifft, begleiteten Jutta Hecken-Defeld und Michael Schnippering von ver.di die Abgeordnete bei dem Termin, um zu erfahren, was genau es mit dem Angebot auf sich hat.
Das Leistungsangebot der Beratungsstelle Arbeit richtet sich an Menschen im SGB-I- und SGB-II-Bezug, an prekär Beschäftigte oder von Arbeitsausbeutung bedrohte Menschen mit und ohne Migrationshintergrund. Ebenso gehören ältere Arbeitslose, Berufsrückkehrer*innen oder auch junge Menschen unter 25 Jahren zum angesprochenen Klientel.
Ratsuchende erhalten auch Hilfen bei sozialrechtlichen Fragen, wirtschaftlichen Notlagen, Wiedereingliederungsmöglichkeiten in den Beruf oder Unterstützungsleistungen bei psychosozialen Nöten und gesundheitlichen Folgen. An den Standorten Olpe und Finnentrop werden von Anke Köster und Anne Redeker rund 1.000 Beratungen im Jahr durchgeführt. Dabei geht es oft auch um zeitintensive Hilfe bei Bewerbungen, aber auch um Entgeltfragen und Vertragsgestaltungen. Unterstützung gibt es bei der Prüfung von Bescheiden – die von den Betroffenen oft gar nicht verstanden werden – und entsprechenden Widersprüchen. Das kostenlose Angebot in der Beratungsstelle ist sehr niederschwellig, damit Betroffene den Weg dorthin nicht scheuen.
Daniel Schulte, Geschäftsführung KSD und Helena Fleischer, Leitung von IN VIA, freuen sich, dass durch die weitere finanzielle Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen und des Europäischen Sozialfonds dieses für viele Menschen in sozialen Schwierigkeiten wichtige Angebot erhalten bleibt und sogar erweitert wurde. Die ver.di Gesprächspartner boten ihre Unterstützung zu arbeitsrechtlichen Themen an, wie bei Fragen zu Kündigungen und Arbeitsverträgen. Sie führten aber auch an, dass aus gewerkschaftlicher Sicht soziale Beratungsstellen oftmals ebenfalls von einer Art prekärer Ausgangssituation betroffen sind, da sie sich immer wieder bei den Vergabestellen, wie beispielsweise der Bundesagentur für Arbeit, an Ausschreibungen beteiligen müssen und darüber hinaus im Wettbewerb mit überregionalen Beratungsstellen stehen. „Personalplanung, bzw. eine Perspektive für diese Beschäftigten ist unter solchen Voraussetzungen schwierig bis unmöglich. Hier muss die Politik auf jeden Fall nachbessern“, forderten Michael Schnippering und Jutta Hecken-Defeld in Richtung der Abgeordneten Nezahat Baradari.
ver.di-Gewerkschaftssekretär Michael Schnippering berichtete aus der Gesundheitsbranche, dass in Physiotherapiepraxen oft 450-€-Kräfte beschäftigt werden. Betroffen seien hiervon zumeist mehr Frauen als Männer. In einer REHA-Klinik, die bis vor wenigen Jahren noch nicht tarifgebunden war, hätten viele Beschäftigte einen Zweitjob benötigt, um ihre Familien ernähren zu können. Prekär dabei: Tarifgebundenheit. „Betriebe, die einen Tarifvertrag anwenden, gibt es in Deutschland immer weniger. Insofern findet hier eine Tarifflucht statt, mit der Folge, dass Löhne und Gehälter – aber auch Arbeitsbedingungen – abgesenkt und verschlechtert werden.“ Der öffentliche Dienst verschließe sich diesen marktwirtschaftlichen Prozessen mittlerweile auch nicht mehr. Beispiele sind Veräußerungen u. a. an private Träger. Betroffen sind städtische Kitas, die Müllabfuhr und die Stadtreinigung, die Kanalnetze, der öffentliche Nahverkehr und sogar die (Kreis-)-Krankenhäuser.
Michael Schnippering beschrieb darüber hinaus die Auslagerung von städtischen Bäderbetrieben mit einhergehenden Vertragsänderungen, die Einführung von Zeitarbeit in Bereichen der öffentlichen Verwaltungen, die Ausgliederung der Reinigungsdienstleistungen der städtischen Schulen an nicht tarifgebundene und dubiose Reinigungsfirmen, die sich in jährlichen Ausschreibungsverfahren gegenseitig unterbieten, um den Zuschlag zu erhalten. „Die Entgelte und die Arbeitsbedingungen der oftmals ausschließlich betroffenen Frauen in diesen Beschäftigungsverhältnissen verschlechtern sich fast jährlich“, so Michael Schnippering. „Nicht selten gehen diese Firmen insolvent und können die Löhne der ehemals städtischen Beschäftigten nicht mehr bezahlen. In diesen Fällen leitet ver.di entsprechende arbeitsgerichtliche Prozesse ein.“
„Auf dem Rücken von Beschäftigten boomt auch der Versandhandel“, so Jutta Hecken-Defeld. Das System stützt sich an vielen Stellen auf Subunternehmen oder Leiharbeitsfirmen. In Teilen sind die Kolleginnen und Kollegen auch als Solo-Selbstständige im Einsatz. Die Arbeitsbedingungen sind prekär und der enorme Zeitdruck belastet zusätzlich. Hier sind auch die Sozialversicherungsträger gefordert, mögliche Scheinselbstständigkeiten zu beenden. Nicht zuletzt ist auch die Politik gefragt, in der gesamten Branche die Kontrollen auszuweiten und so Verstöße gegen geltendes Recht, wie das Mindestlohngesetzt, konsequent zu verfolgen.“
Auf die Frage der Bundestagsabgeordneten Nezahat Baradari an die Mitarbeiter*innen der Beratungsstelle „Was brauchen Sie als Unterstützung, um die Arbeit noch besser zu bewältigen?“, überraschte die Antwort nicht: Die Fördermaßnahmen sollten einen längeren Zeitraum betragen und damit mehr Planungssicherheit beim Personal ermöglichen. Oftmals sei nicht abzusehen, ob eine Beratungsstelle nach zwei Jahren noch arbeiten könne.